Nachhaltigkeit in Amsterdam: Eine der grünsten Städte der Welt
Das Jahr 2023 steht für vieles: zunehmende globale Spannungen, den Beginn eines weiteren Krieges und zahlreiche Klimaproteste. Ja, nichts davon macht einem gute Laune. Den Kopf in den Sand stecken müssen wir aber trotzdem nicht. Denn auch in keinem Jahr wurde bisher mehr über die Auswirkungen des Klimawandels gesprochen und Wege diskutiert, wie wir gemeinsam zur Minimierung dieser beitragen können. Vor allem in den Niederlanden ist dies ein heiß diskutiertes Thema. Wusstet ihr, dass Amsterdam die 10. nachhaltigste Stadt der Welt ist? Ja, ihr hört richtig. Kaum ein Thema wird so groß geschrieben wie Nachhaltigkeit in Amsterdam.
Wir alle sind mittlerweile informiert genug, um zu wissen, dass Nachhaltigkeit eine komplexe Angelegenheit ist. Das Zusammenspiel von vielen unterschiedlichen Faktoren bestimmt dabei, als wie nachhaltig eine Stadt gilt. Die wichtigsten davon sind unter anderem Transport, Abfallverwertung, Konsumverhalten, Bauwesen und Ernährung. Wir wissen: In allen Bereichen davon ist noch viel Luft nach oben, wenn es um das Thema Nachhaltigkeit geht. Amsterdam hat sich allerdings in all diesen Bereichen schon Gedanken gemacht und konkrete Prinzipien implementiert, die die Stadt immer nachhaltiger werden lassen sollen. Wie genau die Stadt das anstellt und was das mit Doughnuts zu tun hat, erfahrt ihr weiter unten!
Das Doughnut Economic Model
Als erste Stadt weltweit hat Amsterdam ein ökonomisches Modell ganz im Sinne der Nachhaltigkeit entwickelt. Ebenso wie der Big Mac Index klingt das „Doughnut Economic Model“ vielleicht lustig, hat aber einige wichtige Implikationen für die sozio-ökonomischen Faktoren, die das Thema Nachhaltigkeit beeinflussen. Spezifisch soll das Doughnut Economic Model den Lebensstandard der Bevölkerung maximieren, ohne dabei die Ressourcen des Planeten zu weit auszureizen. Natürlich brauchen wir unsere Ressourcen, um zu überleben – ganz ohne Energie, Wärme und Wasser kommen wir nicht aus. Es geht also darum, eine Balance zwischen dem Nutzen und Sicherstellen dieser Ressourcen zu finden, ohne das Leben der Bevölkerung zu sehr einzuschränken. Klar formulierte Ziele umfassen zum Beispiel Klimaneutralität bis 2050 und setzen sich vor allem auf Verbraucher-, Konsum- und Abfallproduktebene für mehr Nachhaltigkeit in Amsterdam ein.
Wie ihr auf der Grafik erkennen könnt, versucht das Modell so viele soziale, ökologische und ökonomische Faktoren wie möglich einzubeziehen, um zu verdeutlichen, dass diese im Gleichgewicht stehen müssen. Dabei wird eine positive Perspektive eingenommen: Es geht darum, wie die Stadt grüner, nachhaltiger und gesünder werden kann, was wiederum der Bevölkerung zugute kommen soll. Generell arbeitet die Stadt verstärkt mit Gain-Framing (= die Vorteile, die gewonnen werden können, werden hervorgehoben) und verdeutlicht, wie die Bevölkerung von den Änderungen profitiert. Das Ziel ist also, Nachhaltigkeit einen positiven Spin zu verleihen und zu verdeutlichen, dass alle Amsterdamer Bewohner etwas dazu beitragen können – ohne zu große persönliche Einschränkungen.
Wie die Stadt das genau erreicht? Lasst uns dafür auf die unterschiedlichen Dimensionen schauen, die das betrifft!
Transport
Einer der wichtigsten Nachhaltigkeitsfaktoren, der maßgeblich zu Amsterdams Ranking beiträgt, ist unser grüner Ansatz beim Transport. Amsterdam ist nicht umsonst als eine der größten Fahrradstädte der Welt bekannt: Das Nr. 1 Verkehrsmittel bleibt nämlich durch alle Bevölkerungsschichten hinweg das Fiets!
Fahrradfahren ist die Nr. 1
Ein Viertel aller Trips jeden Tag werden zu Fahrrad zurückgelegt und 50% der Amsterdamer nutzen es, um täglich zur Arbeit zu fahren. Das macht die Niederlande zur unangefochtenen Nummer 1 weltweit, wenn es um Fahrradnutzung geht! Die Stadt versucht immer mehr, autofrei zu werden, und erreicht dies vor allem durch Einschränkungen, aber auch durch natürliche Effekte. Zum einen ist Amsterdam einfach so gebaut, dass nicht viel Platz für Parkplätze bleibt. Das treibt die Preise der kleinen, verfügbaren Anzahl an Parkplätzen natürlich maßgeblich in die Höhe. Zum anderen ist es meistens auch nicht die schnellste Transportoption, da die Stadt eben so verwinkelt ist und es sich schnell staut. Zusätzlich dazu wird die gesamte Innenstadt von Amsterdam im Dezember zur 30er Zone ernannt, was das Autofahren für viele Bewohner unattraktiver macht. Gleichzeitig wird die Infrastruktur der Radwege immer besser. Unter anderem gibt es bereits große Fahrradstraßen, auf denen explizit steht, dass Autos lediglich „zu Gast“ sind. Dass die Fahrradfahrer hier das Sagen haben, wird euch bei eurem Amsterdambesuch also schnell auffallen.
Ihr wollt unser schönes Amsterdam auch einmal ganz authentisch zu Fahrrad kennenlernen? Dann radelt mit uns auf der kulturellen Radtour durch die Innenstadt, oder lernt die Geheimnisse von Amsterdam Noord bei einer Fahrradtour in den idyllischsten Teil der Stadt kennen! 😊
Öffentliche Verkehrsmittel mit Ökostrom
Zusätzlich dazu setzt ein Großteil unserer öffentlichen Verkehrsmittel mittlerweile auf Öko-Strom (beispielsweise die Fähre nach Amsterdam Noord), was die Stadt als Ganzes weiter in Richtung der Doughnut-Balance bringt. Orientiert euch als Touristen also gern am Beispiel der Amsterdamer und erkundet die Stadt mit den vielen öffentlichen Verkehrsmitteln oder gar ganz niederländisch zu Fahrrad!
Müll
Erstaunlicherweise haben wir festgestellt, dass es nur 2 Arten von Touristen in Amsterdam gibt: Die, die loben, wie sauber es ist und die, die hervorheben, wie dreckig die Stadt ist. Woran diese starke Polarisierung in der Wahrnehmung liegt, lässt sich mit unserem Müllsystem in der Innenstadt erklären.
Amsterdams smartes, unterirdisches Müllsystem
In Großteilen der Stadt arbeitet Amsterdam mit einem unterirdischen Müllsystem. Riesige unterirdische Mülleimer sind in allen Stadtteilen eingelassen, wo die Anwohner ganz einfach ihren Hausmüll loswerden können. Ist der Behälter voll, gibt er ein Signal und kann gelehrt werden. Soweit erstmal ebenso simpel wie klug. Durch die Grachten und das viele Wasser in der Innenstadt funktioniert das dort allerdings nicht. Hier gibt es die unterirdischen Mülleimer nicht, und die Anwohner und Gewerbe müssen daher ihren Müll auf die Straße stellen. Dieser wird dann 2x am Tag abgeholt (morgens und abends). Wenn man nun zu einer Zeit durch die Innenstadt spaziert, wo die Müllabfuhr gerade unterwegs war, kommt einem die Stadt erstaunlich sauber vor. Zu anderen Zeiten – und gerade, wenn es viel windet – ist der Eindruck aber komplett gegenteilig.
Mülltrennung, Recycling und Pfand
Um die Verantwortung noch mehr auf die Schultern der Stadt anstatt auf die der Bewohner zu legen, besitzt die Stadt außerdem ein zentrales Mülltrennungssystem. Ihr hört richtig: Gelber Sack und Kompost existieren hier nicht! Das einzige, was getrennt wird, sind Glas, Papier und sonstiger Müll. Dieser wird dann an einer zentralen Stelle getrennt und Plastik aussortiert. Dadurch stellt die Stadt sicher, dass mehr recycelt werden kann und nimmt der Bevölkerung einen zusätzlichen Arbeitsschritt ab. Bezahlt wird das Ganze von Steuergeldern, indirekt trägt also jeder Bewohner Amsterdams auch hier zu einer nachhaltigeren Stadt bei.
Abgesehen davon hat die Niederlande im Mai 2023 endlich ein Pfandsystem für Dosen und Flaschen eingeführt. Für uns Deutsche der Wahnsinn, dass es das bisher nicht gab! So versucht man, die Bevölkerung zu mehr Recycling zu motivieren. Gerade die vielen Touristen haben aber oft keine Zeit dafür, weswegen viele Mülleimer in der Innenstadt mit Behältern ausgestattet sind, bei denen man seine Pfanddosen spenden kann. Diese Chance also gern wahrnehmen und Amsterdam mit eurem Besuch noch etwas grüner machen! 😊
Tourismus/ Konsum
Es lässt sich nicht leugnen, dass Amsterdams starke Wirtschaftskraft zum Großteil dem Tourismus zu verdanken ist. Dementsprechend ist Konsum ein Kernteil dieser Rechnung. In der Welt des Kapitalismus und in jedem privaten Leben ist der nicht wegzudenken; wir motivieren euch lediglich, das „Wie“ und „Wie viel“ zu überdenken. 🙂
Das Doughnut Economic Model sieht nämlich auch einen bewussteren und reduzierten Konsum vor. Die Amsterdamer Bevölkerung soll sich 2x überlegen, ob etwas wirklich gebraucht wird und wird dazu angehalten, den besagten Gegenstand dann so lange zu nutzen wie möglich. Was genau hat das mit Nachhaltigkeit in Amsterdam zu tun?
Second-Hand statt Fast Fashion
Ein Faktor, der stark zum Klimawandel beiträgt, ist Fast Fashion (= Kleidung, die nach Trends produziert und zu niedrigen Preisen verkauft wird). Anstatt in ein Kleidungsstück zu investieren, das uns hoffentlich jahrelang begleitet, ist Fast Fashion auf Impulskäufe ausgelegt. Wie wir alle wissen, vergehen Trends schnell und so finden wir vielleicht einiges bei uns im Kleiderschrank, was wir eigentlich nicht so wirklich tragen oder brauchen. Diese Kleidungsstücke landen oft im Altkleidercontainer, wovon dann wiederum über 70% im Abfall landen und meist verbrannt werden.
Ein toller Weg, um Konsum nachhaltiger zu gestalten, ist deshalb beispielsweise der Kauf von Second-Hand-Kleidung. Das ist mittlerweile schon zum Trend geworden und hat nicht nur den Vorteil, dass es günstiger ist als nagelneue Kleidung, sondern es lässt eure Kleidung auch länger leben! Amsterdam hat eine Vielzahl an richtig hippen Vintage-Läden, wo wahre Schätze auf euch warten. Das Beste: Ihr findet ganz besondere Kleidungsstücke (auch immer Einzelstücke), die es nirgends anders gibt. Bybye große Modeketten, hallo Vintage-Läden!
Reparieren statt Ersetzen
Dasselbe gilt zum Beispiel für elektronische Geräte. Anders als früher halten viele Gegenstände nicht mehr 20 Jahre. Allerdings können wir auch einen Trend zum Wegwerfen und Erneuern vs. Reparieren feststellen. Amsterdam ermutigt seine Bevölkerung daher, alte Produkte zu reparieren, anstatt alles direkt wegzuwerfen.
Für den Tourismus bedeutet all das natürlich nicht, dass ihr jetzt gar nicht mehr in Amsterdam shoppen gehen könnt. Dazu seid ihr immer noch herzlich eingeladen. Überlegt euch nur gut, was ihr braucht und unterstützt gern den charmanten Einzelhandel – zum Beispiel in den 9 Straatjes!
Architektur
Bei dieser Dimension muss man Amsterdam eigentlich zu allererst mal kritisieren. Dadurch, dass das historische Zentrum zum UNESCO Weltkulturerbe gehört, steht nämlich ein Großteil der Stadt unter Denkmalschutz. Das bedeutet, dass viele der schnuckeligen Häuser aus dem 17. Jahrhundert äußerlich noch in einem sehr veralteten Zustand sind: einfach verglaste Fenster, schiefe Häuser und extrem hohe Heizkosten. Energieeffizienz? Minus Drölf. Die Amsterdamer in der Innenstadt heizen sich im Winter dumm und dämlich und auch Solar auf den Dächern ist durch die strengen Auflagen bisher undenkbar.
Anders ist das bei neueren Bauten. Hier schreibt die Stadt das Thema Nachhaltigkeit ganz groß. Die Häuser besitzen nicht nur Energieklasse A, sondern orientieren sich auch wieder an den Prinzipien und Zielen des Doughnut Economic Models. Viele Bauten inkorporieren Grünflächen auf den Außenflächen, die nicht nur zu einer besseren Luftqualität, sondern auch zum Erhalt der Artenvielfalt beitragen sollen. Stichwort: Insekten! Zusätzlich dazu machen diese die Stadt buchstäblich grüner, was zur Zufriedenheit und zum Wohlbefinden der Amsterdamer Bevölkerung beiträgt. Die grünere Bauweise ist also erneut ein super Beispiel für den positiven Ansatz, den die Stadt im Bezug auf die Nachhaltigkeit vertritt. Alles nach dem Motto: Win Win!
Ernährung
Keine Sorge: Wir wollen hier keine Ernährungsdebatte anfangen, von wegen was ihr tun oder lassen sollt. 😉 Jeder muss für sich ganz individuell entscheiden, wie er oder sie sich gern ernähren möchte. Allerdings kann man seine Ernährung durch kleine Änderungen bereits nachhaltiger gestalten!
Amsterdam setzt auf regionale und saisonale Produkte
Eine Art, wie Amsterdam als Stadt dies erreicht, ist durch möglichst kurze Lieferketten. Man setzt vor allem auf regionale und saisonale Produkte, was die Niederlande nicht nur auf ökonomischer Ebene unterstützt, sondern auch gut für den Planeten ist. Je kürzer die Transportwege, desto CO2-ärmer wird der Transport eines Produktes in der Regel. Natürlich kann man im Supermarkt hier natürlich dennoch importierte Produkte finden und das ganze Jahr über Erdbeeren oder Spargel kaufen. Hier arbeiten die Supermärkte wieder mit einem positiven Ansatz, indem saisonale Produkte oft im Angebot sind. Dadurch werden die Leute motiviert, vor allem diese zu konsumieren und leben somit nachhaltiger.
Durch kluges Marketing zu grünerer und gesünderer Ernährung
Auch die Restaurants der Stadt haben sich der Nachhaltigkeit verschrieben. Unabhängig davon, ob ihr dies persönlich unterstützt oder nicht, haben wir zahlreiche Optionen für Vegetarier und Veganer. Pflanzen sind in der Regel sehr viel CO2- und wasserärmer als die Aufzucht von Tieren, weswegen deren bevorzugter Verzehr einen positiven Effekt auf den CO2-Ausstoß haben kann. Historisch isst die Niederlande übrigens genauso viel Fleisch wie Deutschland und verteufelt den Verzehr von Tierprodukten auch auf keinen Fall. Viel mehr wird die Bevölkerung motiviert, den Wert eines leckeren Stücks Fleisch mehr wertzuschätzen und dieses seltener und bewusster zu genießen. Die Kritik wird also hauptsächlich an der Massentierhaltung geübt und weniger an den Entscheidungen des einzelnen Konsumenten. Dennoch betont die Stadt die Rolle eines jeden Amsterdamers, um die eigene Stadt nachhaltiger zu gestalten. Am Ende sind es immer noch die Bewohner, die eine Stadt ausmachen, nicht wahr? 😊
Nachhaltigkeit in Amsterdam: Fazit
Zusammenfassend hat die Stadt ihren Platz als 10. nachhaltigste Stadt sicher mehr als verdient. Auf allen Dimensionen, die das Thema Nachhaltigkeit in Amsterdam beeinflussen, unternimmt die Stadt vieles, um grüner zu werden – und das auch langfristig.
Die Stadt hat es sich zum Ziel gesetzt, autofreie Stadt zu werden und das Transportmittel Nr. 1 ist bereits jetzt das Fahrrad. Dazu nutzt die Stadt ein unterirdisches Müllsystem und ein zentralisiertes Mülltrennungssystem, was die Verantwortung dafür in die Hände der Stadt legt und den Amsterdamern Arbeit abnimmt. Obwohl der Konsum einen Großteil von Amsterdams Wirtschaftskraft ausmacht (hallo Tourismus! 😉), wird die Bevölkerung dennoch dazu angehalten, weniger und bewusster zu konsumieren. Gerade im Fashion-Bereich sieht man einen Trend zu Second-Hand-Shopping. Architektonisch müssen die charmanten, alten Grachtenhäuser für ihre Energieeffizienz eher kritisiert werden. Da diese unter Denkmalschutz stehen, dürfen sie oft nicht im Sinne der Nachhaltigkeit umgebaut werden. Bei Neubauten wird aber stark auf die Nachhaltigkeit in Amsterdam geachtet. Das bedeutet Energieklasse A + Grünflächen, die architektonisch in die Neubauten mit eingebaut werden (yay Artenvielfalt!). Beim Thema Ernährung wird der Kauf und Konsum von regionalen und saisonalen Produkten unterstützt: ebenso im Supermarkt wie im Restaurant. Zusätzlich dazu entwickelt sich die Stadt immer mehr zum Mekka für alle Vegetarier und Veganer unter uns!
Wie sich die Welt entwickeln wird und ob wir unser Ziel von max. 1.5 Grad Erderwärmung noch einhalten können, kann wohl niemand mit Sicherheit sagen. Wir verstehen, dass dieses Thema ein emotionales ist und wir uns oft mit Machtlosigkeit und Pessimismus konfrontiert sehen. Umso motivierender ist es zu sehen, dass eine Stadt wie Amsterdam einen positiven Ansatz fährt, der die Bevölkerung ermutigt. Baby steps sind besser, als kein Step – nicht wahr? 😊